750 Jahre Kirchgemeinde Rüderswil

Unsere Veranstaltungen zu den 750 Jahr-Feierlichkeiten der Kirchgemeinde

Die Kirchgemeinde feiert am 17./18. Mai 2025 das 750Jahr-Jubiläum mit einem grossen Fest. Hier das Festprogramm (36 Seiten).

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Religion im Emmental.
Wandlung der religiösen Vorstellungen von den Alemannen bis zur heutigen Zeit.
Vortrag von Hans Minder am Mittwoch, 30. April 2025, 19:30 Uhr in der Kirche Rüderswil

Feier des 750 Jahr-Jubiläums der Kirchgemeinde Rüderswil
Samstag, 17. Mai nachmittags und Sonntag, 18. Mai 2025 in und um die Kirche
Hüpfkirche, Spiele für Kids, Marmelibahnen, Kinderschminken, Orgelbau, volkstümliches Konzert und Orgelmatinée, und als Höhepunkt der Guss einer Glocke
Festbetrieb im grossen Festzelt, Samstag Nachtessen vom Foodtruck und Sonntags zum Mittagessen Risotto von Peter Sommer.
Kirchenführung durch die reformierte Kirche Rüderswil
Bekanntes und Unbekanntes in und über unsere Kirche mit Peter Lerch, 16. Juni 2025

Religiöse Entwicklung Oberemmental
Die Artikel aus dem «Reformiert.» von Hans Minder werden monatlich ergänzt

Der Lokalhistoriker Hans Minder beschreibt in dieser Reihe, wie sich das Christentum im Emmental entwickelt hat.

Wie das Christentum ins Emmental kam

Zwischen den Jahren 550 und 680 stiessen die Alemannen über den Rhein aus dem süddeutschen Raum ins Mittelland vor. Die Römer hatten ihre helvetischen Provinzen geräumt, wobei aber die bisherige Bevölkerung (Kelten und Römische Zivilisten) hier wohnhaft blieben. Die Alemannen hatten sich dabei mit dieser Bevölkerung vermischt. Fast alle Deutschschweizer haben deshalb sowohl germanische wie auch keltische Vorfahren und viele Ortsnamen sind auch heute noch galloromanischen Ursprungs.

Das Christentum (katholisch) war zu dieser Zeit im Römischen Reich Staatsreligion, wobei man durch die Archäologie sicher ist, dass lange nicht alle auf dem Land Christen waren. Mit dem Wegzug der Römischen Verwaltung wurde auch die christliche Religion erschüttert; sicher ist, dass gewisse Bistümer nicht immer besetzt waren. So dürfte um das Jahr 550 auch der Bischofsitz von Augst (Augusta Raurica) aufgegeben worden sein. 617 ist jedenfalls auf einmal die Stadt Basel Bischofssitz. Der Bischofssitz von Avenches (Aventicum war die Hauptstadt der Provinz Helvetica) wurde um diese Zeit auch nach Lausanne verschoben. Für unsere Gegend war schliesslich das Bistum Konstanz zuständig.

Die Alemannen waren Anhänger der nordischen Religion mit dem Hauptgott Wodan oder Odin. Die Naturreligionen zeichnen sich dadurch aus, dass es eine Vielzahl von Göttinnen und Göttern gibt. Während die nordischen Religionen noch überschaubar waren (man kann von rund 10 mehr oder weniger wichtigen Göttern ausgehen), hatten die Kelten viel mehr Götter. Da diese Götter immer für verschiedene Anliegen zuständig waren, «verteilten» die christlichen Missionare diese Aufgaben der bisherigen Götter an die neuen Heiligen der christlichen Religion, so wurde der bisherige Wettergott Donar (Thor) durch Petrus ersetzt.

Im Jahr 570 beschrieb der byzantinische Historiker Agathias, dass die Alemannen heidnisch seien, also Anhänger der Naturreligionen. Kolumban erwähnte 610, dass die Bevölkerung in der Region des heutigen Vorarlbergs heidnisch sei, auch Gallus hatte um das Jahr 650 hauptsächlich heidnische Alemannen angetroffen, als er von Irland her ins Gebiet der heutigen Schweiz zog.

Der Alemannenherzog Gunzo hatte sich aber zum Christentum bekannt und zusammen mit den Mönchen die Christianisierung begonnen. Wir können davon ausgehen, dass um das Jahr 700 die meisten Alemannen Christen waren, da von da an bei den Begräbnissen keine Beilagen mehr dazukamen und die Verstorbenen auf den Friedhöfen begraben wurden. Im Nordischen Glauben wurden die Verstorbenen verbrannt. Ab 700 wurden auch die ersten Klöster gegründet, wie in Säckingen, Steinach und St. Gallen. In der Rechtsordnung der Alemannen von 700 war die Organisation der Katholischen Kirche bereits fest geregelt worden. Als die Franken das Gebiet der Alemannen eroberten, liessen diese die katholische Ordnung unverändert, da sie bereits voll im Sinne des römischen Papstes war.

Wir können davon ausgehen, dass seit dem Jahr 800 die Alemannen, wie auch das restliche Gebiet der Schweiz, ein Teil des römisch-katholischen Gebietes unter dem Papst in Rom darstellte. Im Emmental wurden um das Jahr 1200 Klöster Trub, Röthenbach, Rüegsau (Frauenkloster) und Burgdorf gegründet.

Organisation der Kirche im Mittelalter

Die katholische Kirche hatte das Gebiet der heutigen Deutschschweiz in zwei Bistümer aufgeteilt. Die Grenzen wurden bereits um das Jahr 620 durch König Dagobert I (König der Franken) festgelegt. Die Gebiete nördlich der Aare gehörten zum Bistum Konstanz, die Gebiete südlich der Aare zum Bistum Lausanne. Das Emmental war somit ein Teil des Bistums von Konstanz. Dieses Bistum bestand von Jahr 585 bis zur Auflösung im Jahr 1821. Das Emmental gehörte zum Archidiakonat Aarau und dem Dekanat Burgdorf mit der Hauptkirche Lützelflüh. Burgdorf hatte im Mittelalter zuerst keine eigene Kirche und gehörte zur Kirchgemeinde Oberburg. Die Gebiete westlich von Signau bis zur Aare in Münsingen gehörten aber zum Archidiakonat Burgund mit dem Dekanat Münsingen.

Der Dekan war der Stellvertreter des Bischofs von Konstanz im jeweiligen Gebiet und dadurch auch «Chef» der Ortspriester. Die Ortspriester waren entweder geweihte Priester oder dann Mönche, die auch zum Priester geweiht wurden. Die Priester sind nach der katholischen Lehre (aber auch in der Orthodoxie und selbst in einigen reformierten Kirchen) geweiht durch die Bischöfe, die ihrerseits auch wieder von Bischöfen geweiht wurden, wobei die Katholische Kirche davon ausgeht, dass diese Reihe zurückgeht bis zu den Aposteln und somit zu Christus selbst.

Im Mittelalter waren die meisten Ortspriester im Emmental Mönchspriester, die von den Klöstern abgesandt wurden. Lauperswil gehörte dem Kloster Trub und das Kloster erhielt vom Herrn von Wartenstein um 1500 den alten Wehrturm im Dorf, um daraus ein Wohnhaus für den Priester zu bauen. Rüderswil war 1319 im Besitz des Freiherren Johann von Friesenberg und wurde 1350 als Schenkung an das Deutschordenshaus in Bern übertragen. Der Kirchensatz hatte eben auch die Verpflichtung eine Priester anzustellen und zu besolden und die Kirche zu unterhalten. Das wurde schon im Mittelalter den meistern Adeligen zu teuer und so wurden die Kirchensätze an ein Kloster «verschenkt». Das erste Deutschordenshaus wurde 1421 abgerissen, weil man den Platz für den Bau des Münsters brauchte. Auf dem heutigen «Münsterplatz 3» in Bern wurde ein neues Deutschordenshaus gebaut. Rüderswil verblieb bis zur Reformation beim Deutschen Orden. Dieser Ritterorden wurde 1190 in Palästina gegründet zur Verteidigung des Heiligen Landes und zur Betreuung der Pilger und Kreuzfahrer. Die Mitglieder mussten wie Mönche die Gelübde ablegen, waren aber immer auch Ritter, also Soldaten.

Neben diesem Ordenshaus in Bern gab es auf dem Gebiet des heutigen Kantons Bern noch die Ordenshäuser von Sumiswald und Köniz.

Langnau gehörte wie Lauperswil auch zum Kloster Trub, hier war also auch ein Mönchspriester für die Messe zuständig.

Funktion der Katholischen Kirche vor der Reformation

Die Priester und die Priestermönche stammten in vielen Fällen aus dem Adel oder der Bürgerschaft der Städte. Es waren keine Bauernsöhne, solche fanden sich in der Regel höchstens in den niederen Mönchsorden (Mönche, die keine Priesterausbildung hatten).

Viele Priester in den Dörfern waren Mönche, die von ihren Klöstern als Priestermönche in die Kirchgemeinden gesandt wurden. Daneben gab es auch Priester, die nicht Mönche waren, sogenannte Leutpriester. Die Priester hatten die Aufgaben, die Messen regelmässig zu lesen, die Kranken zu besuchen und für die Verstorbenen die Messen (Requiem) zu lesen. Fast alle Priester hatten eine Liegenschaft als Wohnung und etwas Land, um das Nötigste anzubauen. Priestermönche hatten das Land vom Kloster bekommen. Wenn die Kirche und die Gemeinde keinem Kloster zugeteilt waren, besass in der Regel ein lokaler Adeliger diese Rechte und Pflichten. In Rüderswil waren die Rechte 1319 bei Johann von Friesenberg (bei Wynigen), welcher aber diese Rechte 1350 an das Deutschordenshaus in Bern geschenkt hatte. Das Deutschordenshaus in Bern stand dort, wo heute das Gebäude «Münsterplatz 3» steht. Kurz vor der Reformation hatte Bern das Deutschritterhaus aufgehoben und ein Chorherrenstift gegründet. Diese Chorherren waren keine Mönche, sondern Priester, die vom Stift in ihre Dienstorte geschickt wurden. Bern hatte dadurch viel mehr Einfluss auf innerkirchlichen Angelegenheiten gewonnen als gegenüber einem Kloster.

Um das Jahr 1500 war das Gefühl weit verbreitet, in einer Krisenzeit zu leben. Die Macht der Sünde, der jederzeit nahe Tod und der zu erwartende strenge Richterspruch Gottes waren ständig im Bewusstsein der Leute vorhanden und liessen ein Gefühl der Bedrohtheit entstehen. Die Leute versuchten alles, um von dieser Bedrohung abzukommen. Besonders attraktiv war es, der Kirche zu spenden, damit man weniger lang im Fegefeuer ausharren müsse. Die Kirche hatte solche Ablässe ausgestellt und diese gegen gutes Geld verkauft. Man war der Ansicht, dass die Kirche als Organisation die Verdienste Christi verwaltet und deshalb auch bestimmt, wer erlöst wird und wer nicht.

Das Problem war aber auch, dass die Kirche ihre Organisation nicht mehr im Griff hatte und viele Priester und Mönche machten, was sie wollten. Das war den Leuten auch offensichtlich bekannt. Zudem lebten die höheren Dienstgrade in der Kirche (Bischöfe, Äbte etc.) wie Fürsten.

Bekannt ist auch, dass viele Priester und Mönche sich nicht mehr an das Zölibat (Ehelosigkeit) hielten und in der Regel mit einer Frau zusammenlebten und sogar uneheliche Kinder hatten. Diese «Ehefrauen» wurden als Kebse bezeichnet, also gleich, wie die Nebenfrau eines verheirateten reichen Bürgers oder Fürsten.

Die Kinder aus solchen Verbindungen erhielten in der Regel eine gute Ausbildung und genossen besonders als Schreiber, Lehrer und als Kaufleute ein «besseres» Leben. Der Sohn des Abtes von Trub, Johann Rust, wurde zum Beispiel Landschreiber in Trachselwald. 1493 erwarb dieser Hans Rust sogar die Herrschaft Wartenstein und wurde dadurch auch Twingherr von Lauperswil und Rüderswil. Noch 1551 ist dokumentiert, dass er als alter Mann in der Kalchmatt in Lauperswil wohnte.

Reformation im Emmental

Im Kanton Bern hatten die Reformatoren wie Luther und Zwingli schon recht früh ihre Anhänger. Dabei hatte sich der kleine Rat der Stadt Bern zuerst gegen die Reformation ausgesprochen. Bereits 1522 hatte der Priester von Kleinhöchstetten im Sinne von Martin Luther gepredigt. Er musste sich aber dann vor dem Gericht verteidigen und die Richter sprachen ihn frei. In der Stadt gab es damals schon einflussreiche Bürger, die sich für die Reformation aussprachen. Erst die Ratswahl von 1527 brachte aber eine Mehrheit für die Reformation.

Die Priester, Lehrer, Mönchsvertreter aus der Bürgerschaft wurden am 11. November 1527 eingeladen, sich nach Bern zu begeben und über die Einführung oder Nichteinführung der Reformation in Bern zu verhandeln. Dazu wurden auch die anderen Eidgenössischen Räte und einige süddeutsche Orte sowie ausdrücklich die Bischöfe von Basel, Konstanz, Lausanne und Wallis eingeladen.

Mit der Ausschreibung wurden zehn Thesen veröffentlicht, die der Disputation zugrunde gelegt werden sollten. Sie waren von Berchtold Haller verfasst und bekannten sich zur alleinigen Herrschaft Christi in der Kirche, zum reformatorischen Schriftprinzip und zur Rechtfertigung allein durch den Glauben an Christus. Auf dieser Grundlage wurden bereits wichtige katholische Glaubenslehren verworfen, wie das Fegefeuer und das Zölibat.

Schliesslich nahmen fast 300 Geistliche an der Disputation teil. Am 27. Januar 1528 predigte Huldrych Zwingli selbst im Berner Münster und in der Folge wurden die Messfeiern abgeschafft. Die 25 Spender von Kunstwerken auf den Messaltären konnten diese im Münster wieder abholen. Der Rest wurde zerstört. Am 7. Februar 1528 erliess der Rat ein Mandat, mit dem in Bern die Reformation definitiv eingeführt wurde.

In der Landschaft wurden mehrmals Befragungen durchgeführt und diese zeigten, dass auch auf dem Land die Stimmung für die Reformation gut war. Die Mönche von Trub z.B. hatten sich nach der Reformation alle (bis auf einen älteren Mönch) als reformierte Pfarrer anstellen lassen. Das Frauenkloster von Rüegsau wurde aufgehoben, die Nonnen heirateten danach einen der Mönche und wurden so Pfarrfrauen. Auch der erste Rüderswiler Pfarrer Hans Holzschneider muss ein ehemaliger Mönch gewesen sein. Der frühere Abt von Trub wurde der erste reformierte Pfarrer von Lauperswil.

Widerstände gegen die Reformation in Emmental gab es aus Affoltern, da dort der Wallfahrtsort «Heiligenland» lag und im Röthenbach, weil auch hier die Kirche von Würzbrunnen auf dem Jakobsweg lag.

Interessanterweise wurden nicht nur die Kirchen ihres Schmuckes beraubt, sondern im Gottesdienst durfte keine Musik mehr gespielt werden! In den reformierten Gebieten war Musik fast 100 Jahre lang verboten. In Rüderswil gab es erst 1678 wieder Gesang in der Kirche! Bis zum Jahr 1798 war weltliche Musik in den Kirchen von Bern verboten.

Die Sache mit den Täufern

Mit der Reformation hatten sich in Zürich verschiedene Leute, die sich für die Reformation eingesetzt hatten, weitere Gedanken gemacht, wie die christliche Religion umgesetzt werden sollte. Dabei kam Kritik an Zwingli auf, da er verschiedene Punkte der Reformation nicht so ausführte, wie dies nach der Bibel geregelt wäre.

Zwei Punke waren die Hauptstreitfragen: nämlich die Frage, wer überhaupt Christ ist und ob die Kindertaufe von Wert sei oder nicht. Die Taufe war im Zentrum der Diskussion. In der Bibel ist in der Tat die Kindertaufe nicht erwähnt. Getauft wurden ausschliesslich Erwachsene, die bewusst den Glauben bestätigten.

Im Frühjahr 1524 wurde in einigen Landgemeinden des Kantons Zürich von einigen Prädikanten (Predigern) dazu aufgerufen, die Kinder nicht mehr zu taufen. Der Rat gab aber am 11. August 1524 den Befehl, dass alle Kinder zu taufen seien. Dieser Anordnung widersetzten sich einige Mitarbeiter von Zwingli, wie Felix Manz und Konrad Grebel. Die Tauffrage wurde nun zum wichtigsten Politikum. Im Januar 1525 bot der Rat von Zürich die Vertreter beiden Seiten auf zu einer öffentlichen Beratung ins Rathaus. Zwingli setzte sich durch und die Täufer wurden aufgefordert, ihre Meinung zu ändern und alle Kinder sofort taufen zu lassen. Die Täufer liessen sich nicht beeindrucken und am 21. Januar 1525 taufte Konrad Gebel den ehemaligen katholischen Priester Jürg Blaurock. Diese verbotene Taufe ist die erste Taufe der Wiedertäufer oder Alttäufer-Gemeinde.

Zürich reagierte sofort und die Täufer mussten ins Umland fliehen. Dabei begannen sie intensiv die Täuferische Ansicht zu predigen und hatten Erfolg dabei. Der erste Märtyrer der Täufer war Felix Manz, der in der Limmat ertränkt wurde. Dank der Druckereien konnten die Ansichten der Täufer verbreitet werden. 1527 wurden die wichtigsten Glaubensregeln der Täufer in den sogenannten Schleitheimer Artikeln publiziert. Für die Täufer gilt seither:

  • Gläubigentaufe (Christ ist nur, wer als Erwachsener getauft wird, indem er ausdrücklich den Glauben bezeugt);
  • Kirchenzucht (wer Fehler macht, wird ausgeschlossen);
  • Das Abendmahl ist symbolisch gemeint;
  • Man soll sich von der «Welt» absondern;
  • Ablehnung des Wehrdienstes;
  • Verweigerung des Eides.

Damit unterscheiden sich die Täufer von jeder Idee einer Volkskirche. Die Täuferlehre verbreitete sich in ganz Nordeuropa. Der Hauptgrund der Verfolgung der Täufer war ihre grundsätzliche Ablehnung des Staatsdienstes. Dies hätte damals der Untergang der staatlichen Strukturen bedeutet.

Die pietistischen Einflüsse auf die Staatskirche

Im Kanton Bern, aber eigentlich in allen protestantischen Gebieten, wurde die Kirche, vertreten durch den Pfarrer, als Aufsichtsorgan der Obrigkeit gesehen. Die Pfarrer hatten an sich eine Art Verwaltungsposten, um die Interessen der Obrigkeit, hierzulande also der Stadt Bern, durchzusetzen. Die Religion selbst trat in den Hintergrund. Viele Pfarrer waren eine Art «Wachhund» der Gnädigen Herren. Besonders auffällig war im Kanton Bern der Hass vieler Pfarrer auf die Täufer, was eigentlich der christlichen Religion widerspricht.

Um das Jahr 1650 verbreitete sich die Einsicht in gewissen reformierten Kreisen, dass das nicht korrekt und nicht im Sinne des Christentums ist. Aus dem lateinischen Wort «pietas» (Frömmigkeit, Gottesfurcht) entstand die Bezeichnung «Pietisten» für diese neue Bewegung.

Der eigentliche Pietismus steht für einen persönlich-individuellen lebendigen Glauben, der sich an der Bibel orientiert und lebensverändernd ist. Der Glaube sollte Auswirkungen auf die Lebensführung haben und so im Alltag sichtbar und erlebbar sein. Es soll sich nicht um äussere Taten oder Rituale drehen, sondern es gehe «um die innere Verwandlung» des Menschen, der dann innerlich von Gott und der christlichen Botschaft „berührt, ergriffen und erfüllt“ ist, dass es sich nach außen durch Werke der Liebe zeigt. Pietisten hatten keine Berührungsängste mit anderen Christen, haben sich mit ihnen ausgetauscht und nach Lösungen gesucht. Es gab auch Pfarrherren in Bern, die auf Grund dieser Einstellung positiv über die Täufer dachten und sprachen.

Die zentrale Rolle im Pietismus spielt die Bibel und deren Auslegung. Christen wurde empfohlen, die Bibel zu lesen. Die Bibel soll die Basis des Glaubens sein und Orientierungshilfe für das Leben. Dabei soll eine persönliche Beziehung zu Gott vorhanden sein. Bei einigen Lehrern des Pietismus kam auch die Frage nach einer «Wiedergeburt in Christus» auf: Man solle wissen, wann man ein Kind Gottes geworden ist. In vielen Freikirchen ist dies auch heute einer der Grundlagen der Religion.

Im Kanton Bern ist das Evangelische Gemeinschaftswerk au dem Pietismus hervorgegangen. Da sich früh bereits viele Patrizier für den Pietismus eingesetzt haben, unternahm die Obrigkeit nicht viel dagegen. Offiziell wurde das Gemeinschaftswerk im Jahr 1831 in Bern gegründet. Erster Präsident war der Patrizier Karl Stettler-von Rodt. Im Jahr 1854 wurde das Lehrerseminar «Muristalden» gegründet, um pietistische Lehrer auszubilden. Viele der heutigen Freikirchen sind aus dem Evangelischen Gemeinschaftswerk hervorgegangen. so zum Beispiel die sogenannten «Bergianer». Fritz Berger von Heimisbach war auch zuerst im Gemeinschaftswerk, wurde aber 1908 wegen Differenzen um die Lehre ausgeschlossen. Er war Mitgründer und geistiger Vater des «Evangelischen Brüdervereins», die sich heute «Gemeinde für Christus» nennen..

1996 schlossen sich die Evangelische Gesellschaft des Kantons Bern (EGB) und der Verband Landeskirchlicher Gemeinschaften des Kantons Bern (VLKG) unter dem Namen Evangelisches Gemeinschaftswerk (EGW) wieder zusammen. Grundsätzlich versteht sich die Bewegung als ein Teil der Reformierten Landeskirche, möchte aber auch ein Bindeglied zu den Freikirchen sein.

Die Aufgaben des Chorgerichtes

Die Berner Chorgerichte wurden im Zuge der Reformation am 21. Juni 1528 per Mandat eingeführt und bestanden bis zu ihrer Abschaffung im Jahr 1831. Jede Kirchgemeinde erhielt ein eigenes Chorgericht, das allerdings dem Berner Chorgericht unterstellt war. Dieses fungierte als Appellationsinstanz für die übrigen Gerichte und wurde deshalb als «Oberchorgericht» bezeichnet. Vor dem Berner Chorgericht wurden also nicht nur Stadtberner Fälle, sondern auch solche aus den umliegenden Gemeinden verhandelt. Der Name «Chorgericht» ist übrigens nicht aus dem Wort «Chor» in der Kirche entstanden, sondern geht auf das Wort «choren» (= Ehehändel ausfechten) zurück. Im Berndeutschen benutzt man das Wort als «chääre» immer noch, wenn jemand immer wieder mit dem gleichen Problem kommt.

Aufgabe der Chorgerichte war es, Almosen und Feiertage zu regeln, Ehekonflikte zu schlichten und Verstösse gegen sittliche und kirchenrechtliche Verordnungen zu ahnden, d.h. die Sexual- und Sozialdisziplin zu überwachen. Konkret wurden vor den Chorgerichten unter anderem Vergehen wie Gotteslästerung, unregelmässiger Kirchgang, Ungehorsam gegenüber den Eltern, Ehebruch oder Trunksucht verhandelt. Als Strafen wurden Verwarnungen, Ausschluss vom Abendmahl, Bussen oder einige Tage Gefängnis ausgesprochen. Für strengere Massnahmen musste der zuständige Landvogt benachrichtig werden.

Im Kanton Bern hatte der Landvogt, nach Rücksprache mit dem Pfarrer, in der Regel 6 bis 10 gesetzte und sittlich einwandfreie Männer als Chorrichter einzusetzen. Dabei kam er zu Besuch in die Kirchgemeinde, nahm in dem für ihn reservierten Stuhl im Chor an der Predigt teil und konnte so auch gleich überprüfen, ob der Pfarrer seine Sache gut mache. Danach hatte er das neue Chorgericht eingesetzt, nachdem die Chorrichter und der Weibel den Treueeid auf die Obrigkeit geleistet hatten. Mit dem Eid war somit auch klar, dass Chorrichter und Chorweibel keine Täufer sein konnten, da diese ja den Eid ablehnten. Gelegentlich kam vor, dass ein Mitglied der Chorgerichts nicht an der Vereidigung teilnehmen konnte, was im Protokollbuch eingetragen wurde. 1614 hatte Chorrichter Lüthi im Längenbach nicht an der Vereidigung teilgenommen, da er mit einer Herde Pferde vom Emmental nach Bellinzona zog, um diese dort zu verkaufen. Man verlangte natürlich vom fehlenden Chorrichter, dass er später im Schloss den Eid nachholte.

Eine der wichtigsten Aufgaben des Chorgerichtes war es, festzustellen, wer bei einer unehelichen Schwangerschaft der Vater war. Wenn nämlich ein Vater festgestellt werden konnte, musste dieser bezahlen und nicht die Gemeinde.